Quality of life Styles - Gesundheitsmoden im Wandel
«Ein neuartiges Coronavirus breitet sich in China aus – und springt von Mensch zu Mensch» lautete die Headline der NZZ im Januar 2020. Bebildert war der Artikel mit einer Frau mit Steppmantel und Leopardenschal.
Ihre Hände schützte sie mit Handschuhen, ihre Haare mit einer Basecap, ihr Gesicht verbarg sie mit einer medizinischen Mund-Nasen-Maske. Seit diesen Tagen schwappte die Masken-Welle nach Europa und breitet sich samt Virus pandemisch aus. Laien und Designer*innen agieren und entwarfen Masken in vielfältigen Formaten, ohne dass zu diesem Zeitpunkt der physische Nutzen medizinisch bewiesen war. Grund dafür war die medialisierte Maskenknappheit, doch die modische Aneignung schien individuell wie gesellschaftlich weitere Funktionen zu haben. Die ungreifbare Pandemie wurde Material und der unsichtbare Virus bekam ein modisches Gesicht. Dinge können für Menschen lebensnotwendig sein, denn sie bieten neben physischen, auch psychischen und sozialen Schutz, indem sie uns in wandelnde Lebensumstände begleiten. Sie ermöglichen, Angst zu kompensieren, spenden Sicherheit und helfen uns, unsere Identitäten neu zu justieren. Sie können, wie die Mund-Nasen-Maske explizit zeigt, potenziell Aerosole aufhalten, versprechen, das Risiko der Eigeninfektion zu reduzieren und kommunizieren als «community mask», dass wir uns auch um unsere Mitmenschen sorgen. Mode hat damit vielfältige Eigenschaften, sie schützt, verspricht und spricht zu uns. Namhafte Lifestyle-Brands reagieren, kooperieren mit Virologen, produzieren anti-virale Twinsets aus Maske und Mütze und innovieren den Markt mit futuristischen Corona-Killer-Masks. Heute, ein Jahr später, können wir sagen, dass die Maske wie eine Sporthose zu jeder Kollektion dazugehört, nicht weil sie als medizinische Gesichtsuniform verpflichtend ist, nicht weil sie symbolisch für ein pandemisches Ereignis steht, sondern weil sie als modisches Wahr- und Warnzeichen für Gesundheit, Krankheit und Tod steht. So wird das Gesundheitsaccessoire zum «Must Have», das sich hybridisieren und in ihrer Funktion vom Gesichts- zum Körperkleid weiter ausdehnen und mutieren wird. Und damit sind wir voll im Thema: Mode macht Körper, Körper machen Mode und Mode macht Gesundheitspolitik. Sie materialisiert auf hautsinnliche Weise sozioökonomischen und soziokulturellen Wandel – kurz Trends.
Infektionstrends
Epidemien sind zeitliche und örtliche Häufungen eines Erregers innerhalb menschlicher Populationen, die wir als Infektionskrankheiten fassen können. Die Art und Weise wie sie sich verbreiten ist virologisch aber auch soziologisch von Bedeutung, denn wie sich ein Virus ausbreitet illustriert, wie kleine unscheinbare Nischenphänomene (Microtrends) in der Lage sind, gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Veränderung herbeizuführen. Gesundheitslatschen von Birkenstock, können von Mensch zu Mensch springen und sich epidemisch verbreiten, wenn die Botschaft des Phänomens («Lebe gesund und sei öko») auf einen fruchtbaren Nährboden trifft. Megatrends wie Gesundheit und Nachhaltigkeit sind das Fundament, auf dem verschiedene Modetrends gedeihen und das nicht erst seit Covid-19. Gesundheit, Synonym für ein gutes Leben, hat sich tief in unser Selbstverständnis und Kultur gepflanzt und nährt seit geraumer Zeit sämtliche Bereiche des Lebens. Die Pandemie stört die Wertevorstellungen gesundheitsbewusster Menschen, die sich in einer gesundheitsfördernden Lebenswelten bewegen und die Expansion von Lebenszeit als neues Normal einfordern. Sie wirkt, so ist anzunehmen, wie ein Dünger auf dem Feld der Gesundheit und dieses wird zukünftig wichtiger denn je. Health- und Moodtracker, Sportivity, Detoxing, Mind-Sport, Yoga, Well-being, Spiritual Self, all das ist Ausdruck des Healthy Living Trends, der unter dem Begriff Holisitic Health über die letzten Jahre seine Wirkung entfaltet. Im Zentrum steht der ganzheitliche Anspruch «ausgebrannte» Körper und Seelen, «erschöpfte» Umwelten und «ausgelaugte» Ökonomien möglichst lange am Leben zu halten – sie zu reanimieren und zu rehabilitieren. Unternehmen wie H&M oder Zara reagieren, versuchen sich mit Detox Fashion zu regenerieren, indem sie dem chemikalienverseuchten Körper durch Kleider den Kampf erklären. Organic, Sustainable und Karma Fashion verfolgen vergleichbare Ziele, setzen auf gesündere Rohstoffe, bessere Arbeit und Achtsamkeit. Ein Ausweg scheint aber auch die Gesundheit selbst zu bieten, wie Fitness Fashion und Athleisure zeigen. Diese Mode befruchtet das Gefühl, lebenslang fit sein zu müssen und formt unseren Gesundheitskörper mit. Mode implementiert physiotherapeutische Konzepte, integriert Produkte wie Kinesio-Tapes und versucht mit sportmedizinischer und körperformender Shapewear weiter attraktiv zu bleiben.
Self-Care-Mode
Healing Fashion ist eine alternative Modemutationen, die durch Selbst-Heilungsbotschaften weiter verbreitet. Diese Mode fusioniert nicht mit der Schul- sondern mit der Komplementär- und Alternativmedizin, wie sich an Kollektionen von Victoria Beckhams «Kristall-Alchemie» und «Color Magic» von Viktor & Rolf identifizieren lässt. Sie ebnen den Weg zur Spiritual Fashion und zeigen auf, wie energetische Kleidung zur zweiten Haut wird. Textile Oberflächen integrieren heilende Kristalle und Metalle, durchlaufen Rosenquarz-Filterprozesse und werden mit ayurvedischen Färbemitteln auf den Markt gebracht. Und Designer*Innen wie Marie Lea Lund richten ihre Materialien nach den Chakren, Energielinien und Druckpunkten ihrer Träger*innen aus. Somit wird das Tragen von Mode nun zur ganzheitlichen Medizin, hilft präventiv und kurativ Körper zu optimieren sondern versucht auch emotionale Schmerzen zu lindern. Mode bietet seit jeher Resilienz in Krisensituationen, da sie uns hilft, die veränderte Lebenswelt zu begreifen. Den Unterschied macht das Narrativ, das nicht mehr Glamour, Ökologie oder Retro ins Zentrum setzt, sondern Schul-, Komplementärmedizin und Virologie. Die Mund-Nasen-Maske ist daher nicht nur ikonischer Platzhalter für den Kampf gegen feindliche Viren, sondern gleichsam gegen jegliche Krankheiten und den damit verbundenen Tod. Sie läutet eine neue Ära der Self-Care-Mode ein, die sich zum Ziel setzt, angegriffene und verletzte Identitäten wieder zu reanimieren. Sie wird zur medikalisierten Schutzmontur wie auch therapeutischen Schmusedecke einer Todesangst erschütterten Gesundheitsgesellschaft, die unsere Sterblichkeit aus unserem Gesichtsfeld rücken will. Sie kann damit als ein lebensverlängerndes Accessoire und als starkes Signal für einen gedeihenden Markt von life-prolonging fashion gedeutet werden. Sie reagiert damit auf einen Zeitgeist der Lebensquantität vor -qualität setzt. Komplementär dazu stehen ganzheitliche textile Angebote, die alternative Zugänge zu sich wandelnden Lebens- und Gesundheitsentwürfe bieten.
Umsorgende Entwürfe
finally. zirkuliert zwischen Aktivität und Fragilität, nimmt medizinisches und pflegespezifisches Wissen auf, und versucht angegriffene und verletzte Identitäten zu umsorgen. Allerdings steht hier nicht der ungezähmte Wunsch nach Expansion von Lebenszeit im Zentrum. finally. verspricht weder Fitness noch Heilung, sondern akzeptiert Endlich- und Zerbrechlichkeit, und bietet textile Lebensbegleiter:innen an, die den Diskurs über Tabu Themen wie Krankheit, Pflegedürftigkeit und abwesende Gesundheit ermöglichen. Es sind gestaltete Brücken, die die Mitte des Lebens mit dem Ende verknüpfen und Verbindungen schaffen zwischen Menschen, die betroffen sind oder betroffene fürsorglich begleiten. Auch der Palliativmediziner Roland Kunz setzt bei seiner Arbeit auf Lebensqualität statt auf Quantität. Seiner Meinung nach ist Lebensverlängerung oft machbar, ob dies die Lebensqualität fördert, stellt er jedoch in Frage (Kunz 2020). Seine Gesellschaftsdiagnose lautet, dass viele Menschen, die Frage nach ihrer eigenen Endlichkeit bis zum Ende verdrängen. Dies ist aus seiner Sicht «verständlich und ermöglicht in gewissem Sinne ein sorgloses Leben. Auf der anderen Seite gehört es zur Lebensreife, dass man auf das bisherige Leben zurückblickt und sich fragt, was man noch vom Leben erwartet und dabei auch das Ende des Lebens in den Blick nimmt» (ebd.).
finally. verschliesst nicht die Augen. So können Fragen wie: «Wo stehen wir eigentlich? Was war? Was erwartet uns? Welche Entscheidungen könnten auf uns zukommen?» (Kunz 2020) auch ausserhalb von akuter Betroffenheit und ohne Furcht gestellt werden. Denn um so mehr wir Ängste und vSprachlosigkeit überwinden und um so besser und frühzeitig wir uns über unsere Vorstellungen über unser Lebensende ausgetauscht haben, um so einfacher ist es, so Kunz, Vorstellungen und Wünsche von Patient:innen am Ende ihrer Lebensreise zu realisieren (ebd.).
Literatur:
Kunz, Roland (2020): «Gerontologie heute», Beat Steiger im Interview mit Dr. med. Roland Kunz im Rahmen der Veranstaltung «Lebensqualität in der letzten Lebensphase – Palliative Begleitung, Pflege und Medizin» 18.09.2021.
Footnote: Dieser Textausschnitt stammt in leicht veränderter Form aus dem Buchbeitrag «Mask Have» von Bitten Stetter,“ erschienen in der HKB Zeitung «Wann gibt es die Pille» herausgeben von Christian Pauli, Redaktation Hochschule der Künste Bern, veröffentlicht Bern März 2021.
Weiterführende Literatur:
Heinz Rüegger, Roland Kunz:
Über selbstbestimmtes Sterben.
Zwischen Freiheit, Verantwortung und Überforderung. Zürich, August 2020. ISBN 978-3-906304-70-0